Matthias Kröner/Mina Braun: Der Billabongkönig
Eigentlich ganz klasse, so ein Leben als König. Da liegt man den ganzen Tag am Pool und lässt sich mit Drinks und Snacks bedienen. Als Krokodilkönig in Australien liegt man natürlich im Billabong, einem Wasserloch, das in der Hitze leider zum Austrocknen neigt. Ab und an kommt jemand vorbei, will einen Rat haben oder eine Erlaubnis. Und ab und zu verspeist man einen Fisch. Also alles cool, wenn nicht die Fische Gräten hätten, die sich gern mal zwischen die Zähne setzen. Womit die Geschichte richtig losgeht.
Weil zum Zähneputzen kommen die Zahnputzvögel, picken die Fischreste aus dem Maul und haben keine Angst, selbst verspeist zu werden. Denn das ist tabu. Weil ohne Zahnputzvögel drohen selbst Königen Zahnschmerzen. Genau das passiert. Also das mit den Zahnschmerzen. Und die Gräte ist nicht zu ziehen. Weswegen sich Ben, der Billabongkönig, aufmacht zu Kaukasius, dem Super-Zahnarzt. Der ist natürlich weit weit weg, gefährliche Abenteuer, lange Reise und so weiter.
Allein das wäre schon eine coole Geschichte, aber Kaukasius, den Ben endlich in seiner Sprechstunde erwischt, ist ein ziemlich machthungriger und manipulativer Vogel. Er befreit Ben von seinen Schmerzen, wenn der verspricht, seinen größten Konkurrenten unter den Zahnputzvögeln zu verspeisen. In seiner Not sagt Ben ja. Und schon steckt er im übelsten Dilemma: Zahnputzvogel fressen geht nicht, weil Tabu, weil Symbiose, gutes Zusammenleben und so weiter. Versprechen brechen geht auch nicht, weil Tabu, gutes Zusammenleben und so weiter.
Machtmissbrauch und Versöhnung
Ein Dilemma lässt sich nicht lösen. Und weil Ben sein Versprechen nicht erfüllt, lässt ihn Kaukasius ins Gefängnis werfen. Ganz nebenbei beginnt der Bösewicht eine Schreckensherrschaft. Zum eigenen Nutzen, für die eigenen Größenfantasien. Wie Ben es schafft, eine Revolte auszulösen, vor Gericht sein Dilemma zu schildern und die Machenschaften des Bösewichts aufzudecken, das ist einfach nur großartig geschrieben. Toll, spannend, bildhaft. Und leider ziemlich aktuell. Denn das Buch lässt sich auch als Parabel lesen auf die momentane politische Lage und den Krieg Russlands gegen die Ukraine, was der Autor zu der Zeit, als er die Geschichte schrieb, nicht ahnen konnte. Wer sich also fragt, wie er mit seinen Kindern über die aktuelle Lage und den Krieg sprechen kann, findet hier jede Menge Anknüpfungspunkte. Insbesondere über die Frage, wie es gelingen kann, wieder miteinander zu leben, obwohl Einigen viel Schreckliches angetan wurde.
Dabei geht es nicht um erdrückende Moral. Denn es gibt ein versöhnliches Ende, der Bösewicht hat die Chance, wieder in die Gemeinschaft zurückzukehren. Und Ben ist ebenfalls nicht gerade ein Hort des Gutkrokodiltums. Nicht ganz ohne Grund wird er von seinen Kollegen als faul und selbstsüchtig beschimpft. Und auch den Autor bringt er – wunderbares Stilmittel – mit seinen Einwürfen und seinem Dazwischengequatsche immer wieder durcheinander. Denn Ben will natürlich als klasse Krokodilkönig dastehen, stark, klug, eben würdevoll. Womit sich beim Vorlesen auch das Thema „Scham“ leicht und ohne Beschämung ansprechen lässt.
Ein vielschichtiges Buch, das auch den vor- und mitlesenden Eltern viel Stoff zum Nachdenken, Schmunzeln und Sich-selbst-erkennen liefert.
Ralf Ruhl
Bibliographie:
Matthias Kröner (Text), Mina Braun (Ill.)
Der Billabongkönig
Beltz 2022
162 Seiten
ab 7 Jahre
www.beltz.de
ISBN 978-3-407-75641-1
15 Euro