Wer kreativ handelt, wird dafür belohnt, fühlt sich besser, ist gesünder, attraktiver und lebenstüchtiger
KRICKEL KRACKEL KREATIV: Na, was denken Sie? Kreativität und Krickelkrackel – ist das bloß ein munteres Wortspiel? Oder steckt vielleicht mehr dahinter? Ist Kreativität nicht vielmehr liebevoll angeleitetes Basteln mit Kindern, Behinderten oder alten Menschen als bloßes Gekritzel? Fallen Ihnen dabei eher Filznikoläuse und transparente Fensterbilder ein oder wild bekleckerte Leinwände und zusammengeklebter Müll? Ganz gleich, womit Sie bisher das Wort Kreativität verbunden oder was Sie schon alles Kreatives gebastelt haben – jetzt ist möglicherweise der Moment, ab dem alles anders wird! Lassen Sie sich überraschen.
Ab sofort wird alles anders
Genau das ist das Wesentliche an der Kreativität: jeden Moment etwas anders machen, etwas neu erfinden zu können. Und was hat das bitte mit Können zu tun? Zunächst einmal nicht viel, denn Kreativität ist kein genormter Standard für ein Produkt, sondern eine Methode für einen Prozess. Und was dabei herauskommt, ist meist eher zufällig als geplant. Doch auch, wenn hier der Weg das Ziel ist, bedeutet das nicht, dass das Ergebnis sich nicht sehen lassen kann. Ganz im Gegenteil. Gerade die Dinge, die in echten kreativen Prozessen entstehen, strahlen oft eine tiefe künstlerische Kraft aus, die sie zu wahren, einmaligen Kostbarkeiten macht. So entsteht Kunst. Oder auch mal nichts als Müll. Und so entsteht auch Lebensfreude. Nicht immer, aber immer öfter.
Kreativität ist der Weg und nicht das Ziel
Und nicht nur diese Ausdrucksstärke ist es wert, sich auf den Weg der Kreativität einzulassen. Es ist vor allem die tiefe innere Befriedigung aller an diesem Prozess Beteiligten, die uns zeigt, wie wichtig und elementar diese Methode ist. Und das nicht nur beim Basteln und Malen, sondern als Grundlage aller schöpferischen Aktionen, also eigentlich unseres ganzen Lebens. Und dazu brauchen Sie nicht einmal etwas Neues zu lernen, denn schon das Lesen und Begreifen dieses Textes ist ein kreativer Prozess und zeigt Ihnen, dass die notwendigen Werkzeuge längst in Ihrem persönlichen Baukasten bereit liegen und auch ganz regelmäßig benutzt werden. Hier können Sie lernen, sie in Zukunft noch zielgerechter und bewusster einzusetzen.

Kreativität – was – wie – wozu?
Der moderne Mensch wurde, was er ist, nur auf Grund seiner Fähigkeit zur Kreativität. Wir sind in der Lage, Probleme und Aufgabenstellungen als Herausforderungen zu begreifen und über den Weg des Ausprobierens neue Lösungsmöglichkeiten zu entdecken. Und mit diesen Neuentdeckungen ergeben sich wiederum weitere Ausbauvarianten. Wir gestalten und verändern unsere Welt seit tausenden von Jahren immer wieder neu. Unsere Techniken und Fertigkeiten werden dabei fortlaufend verbessert und durch Erfahrungen ergänzt. Und jedes neue Problem fordert diese Fähigkeit aufs Neue.
Je mehr allerdings davon im Laufe der Zeit gelöst wurden, desto weniger haben wir selber noch zu tun. Wo für alle Tätigkeiten Regeln gelten, für jeden Handgriff ein Spezialwerkzeug bereitsteht und für jeden Themen- komplex Gesamtlösungskonzepte angeboten werden, bleibt für unsere Kreativität oft nur noch der künstlerische Bereich als Nische übrig. Da könnten wir uns nun endlich so richtig austoben, wenn es nicht auch hier schon eine Fülle von fertigen Lösungen im Angebot gäbe. Und so wird oft dieses letzte Reservat der Kreativität mit gut gemeinten Bastelanleitungen zugekleistert. Na und? Kommen dabei nicht auch schöne Dinge heraus? Das mag sein. Aber was mit Sicherheit zu kurz kommt, ist viel wichtiger als liebevoll nachgebastelte Stabfänger.
Zerknittertes Ich sucht Entfaltungsmöglichkeiten
Es ist das Gefühl der Zufriedenheit, der Selbstsicherheit, der Freude und der Ruhe. Unser Gehirn hat im Laufe der Evolution dieses Wohlgefühl als hormongesteuerte Belohnung für besonders effektives und voranbringendes Verhalten etabliert. Wer kreativ handelt, wird dafür belohnt, fühlt sich besser, ist gesünder, attraktiver und lebenstüchtiger. Und das gilt selbstverständlich für alle Lebensbereiche. So einfach sind wir gestrickt und so unendlich vielseitig sind die Möglichkeiten, die sich daraus ergeben können.
Dass die meisten von uns dennoch eher brave Konsumenten als geniale Erfinder sind, ist unseren komplexen Lebensumständen und Gewohnheiten geschuldet und macht uns nicht immer glücklich. Umso mehr sollten wir darauf achten, diejenigen Bereiche so gut es geht zu nutzen, die uns und unserer Kreativität Raum und Möglichkeiten bieten, uns selbstbestimmt und innovativ zu entfalten. Es geht also im Kern um viel mehr als nette Basteleien. Die sind eher eine bestenfalls schöne, interessante und spannende Begleiterscheinung. Das Wesentliche ist die innere Sicherheit unseres Tuns.

Erfahrungsbereiche öffnen
Wenn Sie also sich selbst und den Kindern, Behinderten oder Alten, mit denen Sie Zeit verbringen dürfen, etwas Gutes tun wollen, dann öffnen Sie Spiel- und Entfaltungs-Räume, in denen das eigene Tun und Erleben möglich, wo wenig vorgegeben und vieles offen ist, wo Platz ist für Staunen, Spaß, Lob und Anerkennung, eigenes Suchen und eigenes Er-Finden. Das kann öfter entstehen, als Sie denken:
In Bewegung, in der Musik, beim Theaterspielen, beim Kochen, beim Bauen und selbstverständlich auch beim Kleben, Malen und Basteln. Und diese Erfahrungen haben mehr Gewicht als alle fein genähten Filzmäuse und ordentlich geklebten Papiercollagen zusammen.
Kinder sind in der Regel ohnehin genauso gestrickt, unmittelbar das umzusetzen, was ihnen gerade einfällt. Und das ist eben genau das, was sie bewegt und was sie brauchen. Manche brauchen allerdings so intensive Aufmerksamkeit oder Freiräume, dass sie mit ihrem grenzenlosen Austoben jedes noch so gut gemeinte Projekt sprengen. Da müssen dann doch ab und zu auch Grenzen gesetzt oder andere Betätigungsräume für sie geschaffen werden.
Und wenn es manchmal anders herum klemmt, wenn schüchterne Kinder sich nicht trauen, ständig fragen, wie das geht, nicht weiter wissen, unzufrieden sind, dann gibt´s nur eins: Mut machen. Immer und immer wieder. Anspornen sich zu trauen, kleine Erfolge loben, Besonderheiten entdecken und herausstellen, Eigeninitiative unterstützen und alles fördern, was ihnen das Gefühl gibt: Das habe ich selbst geschafft.
Und das gelingt am besten, indem man bei sich selber anfängt, die eigenen Gewohnheiten, Ängste und Blockaden wahrnimmt und alle erst mal gründlich auf den Kopf stellt.

Bis jetzt und ab jetzt
Bis jetzt stellte sich Ihr Basteldasein vielleicht typischerweise wie eine Pyramide dar: unten viel Input, Anleitungen oder Fortbildungen, Anregungen aus Büchern und aus dem Internet, vorgegebenes, im Katalog bestelltes Material, angeleitete Vorbereitung, darüber ein vorgegebener und darum eher eingeschränkter Weg zur Durchführung und an der einsamen Spitze das Ergebnis. Aufgabe erledigt, setzen, eins. Ein bisschen Feinmotorik geübt, aber sonst nicht viel Neues erfahren außer: Wer brav ist, bekommt ein Lob und ein schönes Mitbringsel für zu Hause. Nicht viel, aber immerhin.
Ab jetzt könnten Sie es (wenigstens ab und zu) einfach mal anders herum probieren. Drehen Sie die Pyramide um: Unten als zugespitzter Ausgangspunkt eine Idee, was man machen könnte. Darüber ein paar eigene Skizzen und Stichworte, dann viel spontan oder vorausschauend zusammengesuchtes (auch ungewöhnliches) Material, viel Platz, viel Zeit und noch viel mehr Möglichkeiten, daraus etwas Spannendes zu entwickeln, sich überraschen zu lassen, neue Ideen einzubringen, einzusammeln, einzubauen und weiterzuspinnen. Selbst wenn dabei etwas Anderes herauskommt, als geplant. Merken Sie was? Genau – die Pyramide wird nach oben hin immer breiter, die Möglichkeiten vielseitiger, die Freude größer, der Lerneffekt und das Selbstbewusstsein immer stärker.
Helge Nyncke